“Diesel im Generalverschiss”

Das eigenartige Wahlkampfthema “Diesel”. Auch technische Nachrüstungen nützen nichts, geht aus einem internen Papier des Umweltbundesamtes hervor

Die Sonntagszeitungen präsentieren in ziemlich regelmäßiger Form Einsichten in bislang unveröffentlichte interne Untersuchungen. Heute führt die Frankfurter Sonntagszeitung der Diesel-Diskussion neues, bislang unbekanntes Material hinzu, das die Umweltministerin Barbara Hendricks nicht gut aussehen lässt.

Denn, wie die Zeitung aus einer Untersuchung des Umweltbundesamtes zitiert, selbst die Nachrüstung “eines signifikanten Anteils” von Dieselfahrzeugen würde die Konzentration von Stickstoffdioxid in den Städten “kaum verringern”. Die zulässigen Grenzwerte würden selbst “im rechnerisch günstigsten Fall”, also wenn es den Autoherstellern gelingen sollte, den Ausstoß von Stickoxiden bei älteren Fahrzeugen durch den Einbau einer verbesserten Abgasreinigung um 70 Prozent zu senken, “in den nächsten Jahren an einigen Stellen noch überschritten”.

Dazu kommt, dass die Kosten immens wären. Nach Informationen der Zeitung schätzt sie das Umweltbundesamt auf 3,7 Milliarden Euro, um “hinreichend viele Dieselfahrzeuge” nachzurüsten. Dem stünden Einsparungen im Gesundheits – und Umweltsektor lediglich in Höhe von 293 Millionen gegenüber.

Solche Rechnungen sind für den Normalbürger schwer nachzuvollziehen. Das fängt schon mit nicht leicht verständlichen Widersprüchlichkeiten der Grenzwerte (Stichwort Innen- und Außenluft) an und wird bei der Abschätzung der Gesundheitsfolgen nicht klarer, wie dies Clemens Gleich in einem lesenswerten Klartext-Kommentar zur Diesel-Debatte bei Auto Heise andeutet:

Man weiß (noch) nicht, ob eine geringe Menge NO2 für frühere Tode verantwortlich ist oder es nur die eigentlichen Schadstoffe begleitet (z. B. Stäube) oder beides. Alle Grenzwerte sind also bis zu weiteren Erkenntnissen ein ‘sicherheitshalber'”

Clemens Gleich

Allgemein verständlich ist, dass die Nachrüstung von Dieselautos, die sich nicht auf die Software beschränkt, teurer kommt und dadurch im Interesse der Automobilindustrie liegt, die bekanntlich als Schlüsselindustrie das Wohl und Wehe des Wirtschaftsstandorts Deutschland bestimmt. Die Manager haben dies der Allgemeinheit und der Politik in den letzten Jahren immer wieder deutlich gemacht.

Wie die Zahlen von 3,7 Milliarden dann zustande kommen, bleibt dagegen für die Öffentlichkeit völlig unbekannt. Nur die politischen Manöver sind zu erkennen: Die Umweltministerin wird durch die Enthüllung des Papiers in die Bredouille gebracht, weil sie die Studie schon längst kennt. Dennoch, so hält ihr die FAS vor, plädiert sie jetzt für eine teurere technische Nachrüstung (“Nachbesserungen mit Software-Updates werden nicht ausreichen, um die notwendigen Reduzierungen zu erreichen”, Hendricks).

Dabei sei sie doch nach dem letzten Diesel-Gipfel im August auch für das billigere Update der Steuerungssoftware gewesen, das beim Dieselgipfel im März von den Autoherstellern in Gespräch gebracht wurde, nachdem besagte Studie dort Diskussionsgrundlage war. Sie müsse doch wissen, dass technische Nachrüstungen Milliarden Euro kosten und “kaum etwas bringen”, schreibt die FAS. “Warum fordert sie es trotzdem?”

Die Ministerin schweige dazu, heißt es in der Sonntagszeitung, auch ihr Haus habe auf Anfrage keine Auskunft gegeben, weil man sich nicht zu internen Papieren äußere.

Danach werden CSU- und CDU-Politiker zitiert, die Hendricks stark kritisieren (“Sie führt einen Kampf gegen die Individualmobilität. Der Angriff auf den Diesel ist nur der Anfang” Steffen Bilder, CDU). Der Artikel findet ein “Happy-End”: In den meisten Städten werde der von der EU erlaubte Grenzwert “nur geringfügig überschritten”. Dazu gibt es den Kommentar von Vertretern der Automobilindustrie, wonach Software-Updates deshalb auch ausreichen würden. Alles gut?

Wichtiger Artikel Guck

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