Wilde Zeiten in der Windows-95-Welt
Eigentlich wollte ich arbeiten, dann konnte ich nichts ander und startete Windows 95
Alles war so perfekt, sogar der tägliche Joggingwahnsinn war an einem herrlichen Sonnenmorgen schon vollzogen, frischgeduscht und aufgepimpt schien ich bereit für eine erste Tasse Kaffee und epochale Arbeitsleistungen, die Vögel tirillierten draußen vor dem Fenster, sogar der Kindergarten nebenan schien heute angenehm agil … und dann ging doch alles schief, denn ich fand das da und konnte nicht anders.
Eine ? sagen wir ? spielerische Annäherung an die Windows-95-Welt, die über einen modernen Browser in Gang gesetzt wieder einmal so richtig schön zeigte, welchen unglaublichen Spaß wir hatten, in der zweiten Hälfte der 90er digitale Werkzeuge einzusetzen. Damals nannte man das noch PC und “das Windows”, man hörte das schnirgelige Zirpen des Modems, wenn es wieder einmal vergebens versuchte, online zu kommen, ärgerte sich über ständig zu volle Festplatten, abstürzende Programme, die kurz vor dem ersten Speichern Dutzende von Seiten ins Nirvana beförderten und eine Menge an Systemmeldungen, die meistens mit einer nicht direkt übersetzbaren hexadezimalen Zahl endeten.
Das waren schon wilde Zeiten.
Ich konnte also an diesem Morgen nicht anders und musste einfach noch einmal in die Zeit vor 20 Jahren eintauchen. Und siehe da, so viel hat sich eigentlich nun auch nicht verändert seitdem, es hat sich nur verlagert.
Gut, wir ärgern uns nicht mehr über einen Papierstau im Fax (Fax? Also, das sind Fernkopierer, die Zeile für Zeile über das Telefon…ach, lassen wir das.) oder darüber, dass uns die vorderen Haarreihen mal wieder von einem etwas zu stark eingestellten Röhrenstrahl des Bernsteinbildschirms wegelasert wurde. Aber ansonsten haben wir heute ständig Meldungen, dass iCloud voll ist oder das Passwort expired, oder dass eine Email (Email? Also, das ist Zeile für Zeile eine Seite von einem Facebookchat, der in einem File…ach, lassen wir das) nicht durch ging.
Ansonsten kommen da immer noch komische Popups hoch, die uns etwas mitteilen wollen, das wir nicht verstehen oder gar nicht wissen wollen. Wir machen brav immer noch, was der Computer uns vorgibt, wenn der Kasten mit einem “Und jetzt das linke Bein hoch” auf einen Tastendruck reagieren würde, täten wir das auch. Selbst wenn uns das Cortana oder Siri vorplappern würde.
Also nicht viel Neues zu vermelden. Selbst dann nicht, wenn wir noch härtere Zeiten aufziehen lassen und einen Simulator für Windows 3.11 For Workgroups starten. Da wird die Maus noch ein wenig unkontrollierbarer, der simulierte PC macht noch merkwürdigere Sachen und treibt uns noch systematischer in den Wahnsinn. Das ist dann das echte “Frühzeit-der-90er-Feeling”, und das will ich mir jetzt schon gar nicht an diesem eigentlich perfekten Morgen antun. Es soll ja noch ein sonniger, schöner Montag werden.
Die Königsklasse wäre eh, die alte Schreibmaschine herauszuholen, “Mitte der 80er” zu spielen und das viermal wegen eines blöden Tippfehlers verfasste Briefchen mit der Post zu schicken. Aber lieber nicht, am Ende stelle ich noch fest, dass ich so meine Arbeit schneller und entspannter verrichte … was fang ich dann mit den Erfahrungen der letzten 30 Jahre an?
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